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Wie unpassend, diesen Planeten Erde zu nennen,
wenn er doch ganz klar ein Ozean ist. Arthur C. Clarke

Parlamentarisches Frühstück in Berlin am 17. März 2022

Nato: Chancen und Herausforderungen

Erstes Parlamentarisches Frühstück nach der Coronapause

Das Parlamentarische Frühstück in Berlin, stets organisiert von Karl-Dietrich Haase, Ministerialdirigent a.D und Stv. Vorsitzender der Deutschen Maritimen Akademie (DMA), ist aus dem politischen Leben der Bundeshauptstadt nicht mehr wegzudenken. Am 17. März kamen – nach zweijähriger Coronapause– rund 100 Gäste aus dem gesamten Bundesgebiet, darunter 15 Mitglieder des Deutschen Bundestages, zahlreiche Vertreter von maritimen Verbänden und der maritimen Wirtschaft sowie der „Maritimen Community“ in Berlin, zum Hopfingerbräu, um den Vortrag des Chefs des Stabes Supreme Headquarter Allied Powers Europe, Admiral Joachim Rühle, zu hören.

Ein herzliches Willkommen galt u.a. den Attachés aus Polen, Schweden und der Türkei, den ehemaligen Wehrbeauftragten Dr. Hans-Peter Bartels und Reinhold Robbe, stellvertretend für die Uniformträger in Blau Vizeadmiral Carsten Stawitzki, Abteilungsleiter Ausrüstung im BMVg, und dem Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack.

Ein besonderes Dankeschön ging an Generalarzt a.D. Dr. Arno Roßlau für die Corona-Teststation, die Gastgeberin Jana Lange für die Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung des Frühstücks und Christian Wolter, DMA-Beiratsmitglied und Chef des Sachverständigen Zentrums Berlin, für einen Scheck in Höhe von 1.000 Euro für den Erhalt des Marine-Ehrenmals in Laboe. Die Veranstaltung war für die DMA – wie fast immer – nicht mit Kosten verbunden. Hier gilt der Dank dem Präsidenten von Vimac Consultancy Rob Vellekoop, und dem CEO von Monroe Atlantic, James E. Monroe, für deren großherzige Unterstützung.

Natürlich war die Veranstaltung von Anfang an überschattet vom völkerrechtswidrigen Krieg Putins gegen die Ukraine, über den Haase, Rühle, die Schirmherrin, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, deutliche Worte fanden. Strack-Zimmermann richtete ein Grußwort an die Gäste und sandte ein herzliches Dankeschön an ihren Vorgänger als Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Wolfang Hellmich (SPD), der ihr ein gut bestelltes Feld hinterlassen habe, um dann den Krieg in der Ukraine auf das Schärfste zu verurteilen. Sie nannte diesen Angriff barbarisch, menschenverachtend und brachte ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass die Verantwortlichen für diesen völkerrechtswidrigen Angriff vor dem Internationalen Gerichtshof zur Rechenschaft gezogen würden.

Admiral Rühle stellte nach der Begrüßung den Krieg in der Ukraine an den Anfang seines Referates. „Seit über drei Wochen stehen ukrainische Streitkräfte und Tausende Freiwillige in einem heldenhaften Abwehrkampf gegen eine nicht provozierte Aggression.“ Es sei beeindruckend und beispielgebend, mit welchem Kampfes- und Durchhaltewillen sich die Ukrainer gegen die militärische Übermacht Russlands stemmten, um Freiheit und territoriale Integrität ihres Landes zu verteidigen. Russland, so Rühle weiter, habe mit seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine die europäische Sicherheitslandschaft nachhaltig verändert. Dies spiegle sich nicht nur in der verteidigungspolitischen Wende Deutschlands wider. Dieser neue Weg würde von den Verbündeten aufmerksam beobachtet und wohlwollend zur Kenntnis genommen.

Bereits Mitte März seien erste Einheiten der Speerspitze der schnellen Eingreifkräfte der Nato nach Rumänien verlegt worden. Weitere Kräfte der VJTF von Marine und Luftwaffe wurden aktiviert und andere Verbände stünden bereit, um auf Weisung des Supreme Allied Commander Europe zu verlegen. Die Verlegebereitschaft weiterer Teile der Nato Response Force sei erh.ht worden. Darunter sind auch die deutschen Anteile der sogenannten Initial Follow-on Forces Group wie z.B. Truppenteile der Panzergrenadierbrigade 37 aus Frankenberg/Sachsen.

Besonders hob Admiral Rühle hervor, dass sich Nato und sein Hauptquartier seit Ende Oktober 2021 auf einen potenziellen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine vorbereiteten. Sehr frühzeitig wurden Aufklärungsergebnisse der USA der Nato und den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt. Rühle betonte, „dies unterstreicht nicht nur die Rolle der USA für die Allianz, sondern auch die Notwendigkeit für alle Mitgliedstaaten, nationale Erkenntnisse der Geheimdienste so früh wie m.glich mit der Nato zu teilen, um so kollektives Handeln zu ermöglichen. Trotz anfänglicher Zweifel wurden diese Hinweise äußerst ernst genommen.“

Rühle stellte fest: „SHAPE war vor dem Hintergrund der Annexion der Krim und wegen der russischen Manöver in der jüngsten Zeit hinreichend alarmiert. Auf der Grundlage nationaler Informationen verfügte die Nato bereits seit einiger Zeit über ein stetig wachsendes Lagebild, welches letztlich zur raschen Entscheidungsfindung zum Zeitpunkt der Eskalation beitrug. Dieses Lagebild erlaubte es der Nato bereits vor der Aktivierung der Vorauspläne, erhebliche Truppenverlegungen, die alliierte Mitgliedstaaten im Rahmen nationaler Entscheidungen (Enhanced Vigilance Activities) durchführten, zu koordinieren. Bis zum 17. März wurde die Ostflanke der Nato um ca. 40 000 Soldaten verstärkt. Der SACEUR hatte vor allem eine koordinierende Funktion, solange die Kräfte nicht offiziell seinem Kommando unterstellt wurden.

Mit der Aktivierung der Vorauspläne reagierte die Nato ,at the speed of relevance‘ auf drei Gefahren: zum einen sollte so der Gefahr einer möglichen Fehlkalkulation durch die russische Führung begegnet und Voraussetzungen für Beiträge sogenannter 3rd-Responder im Rahmen der humanit.ren Hilfe geschaffen werden. Zum anderen galt es, der Gefahr eines potenziellen Angriffs auf die territoriale Integrität des Bündnisgebietes Rechnung zu tragen und Solidarität mit den östlichen Mitgliedstaaten zu demonstrieren. Mit der Entscheidung des Nordatlantikrates zur Aktivierung der Pläne wurde schließlich auch die Voraussetzung für eine Führung der Kräfte durch die Nato-Strukturen geschaffen. Seitdem arbeiten die Frauen und Männer in SHAPE Tag für Tag, Wochenende für Wochenende zur Unterstützung des SACEUR.“

Eine strategische Überraschung sei der Umbruch der europäischen Sicherheitslage nicht gewesen. Seit der Annexion der Krim 2014 habe die Allianz zahlreiche Maßnahmen zur Steigerung der Reaktionsfähigkeit und Einsatzbereitschaft ergriffen. 2019 gab sich die Allianz eine neue Militärstrategie. Russland wurde als strategischer Wettbewerber und neben dem Terrorismus als eine von zwei Hauptbedrohungen für die Nato identifiziert. Das auf der neuen Strategie basierendes Concept for the Deterrence and Defence of he Euro-Atlantic Area schuf die Voraussetzungen für weitere Planungen, die schließlich erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges im Plan SACEUR’s AOR-wide Strategic Plan für die Abschreckung und Verteidigung im gesamten Bündnisgebiet niedergelegt wurden. Für eine künftige Dislozierung gelte es mittel- bis langfristig die Bedrohung für die Integrität des Bündnisgebietes zu beachten, die sich aus der unerfüllbaren russischen Forderung ergibt, die Bündnisstrukturen auf den Stand von 1997 zurückzuführen. Einem Szenario, dem sich die Nato stellen müsse, sei, dass Russland nach Beendigung des Ukrainekonfliktes und Konsolidierung seiner Kr.fte weitergehende Ziele zur Veränderung der Sicherheitspolitischen Geografie Europas verfolge, machte Rühle deutlich und weiter, „trotz des momentanen Fokus auf Russland darf nicht vergessen werden, dass Terrorismus und permanente regionale Instabilitäten eine omnipräsente Bedrohung für das Bündnis darstellen. Krisenmanagement als auch kooperative Sicherheit werden weiterhin tragende Säulen der Allianz bleiben.“

Abschließend warf Rühle einen Blick auf laufende Einsätze. Er erläuterte z.B., dass sich die Nato trotz des Endes der Resolute Support Mission in Afghanistan noch immer in anderen Einsätzen befindet. Neben KFOR nannte er die Mission Iraq, die Operation Sea Guardian und zahlreiche Rückversicherungsmaßnahmen und Daueraufgaben, wie z.B. das Air Policing. Es werde zukünftig vor allem politisch darauf ankommen, die in der Nato-Militärstrategie angelegten geografischen Bänder süd- bzw. südostwärts weiter zu definieren und dies in den Planungen zu berücksichtigen, auch für die damit verbundenen Nato-Interessen und Ambitionen eines möglichen Out of Area-Engagements. Beispiele dafür sind das sogenannte Training and Capacity Building für Partnernationen. Im Zuge der Nato-2030-Agenda und in Vorbereitung des nächsten Nato-Gipfels in Madrid wurde SHAPE beauftragt, Optionen in diesem Bereich zu erarbeiten. Klar sei, dass nur durch gezieltes Definieren eines Nato-Levels of Ambition eine zielgerichtete Ressourcensteuerung sowie eine sinnvolle Wahrnehmung von Nato-Interessen erfolgen könne.

„Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen kommt dem diesjährigen Nato-Gipfel eine herausragende Rolle zu. Neben der Verabschiedung einer angepassten Nato-Strategie und Realisierung der Agenda 2030 wird vor allem die Reaktion auf die veränderte Sicherheitslage von großer Bedeutung sein. Dies wird weitreichende Entscheidungen hinsichtlich der künftigen Dislozierung und Strukturen von Nato-Kräften erfordern, um die Nato fit für das 21. Jahrhundert zu machen und damit weiterhin den Frieden in Europa zu sichern. Frieden gibt es nicht umsonst, und Deutschland als einem der wirtschaftlich stärksten europäischen Nationen wird für die Zukunftsfähigkeit der Nato eine Schlüsselrolle zukommen. Ein signifikanter Beitrag Deutschlands wird durch unsere alliierten Partner nicht nur mit Blick auf die Kräftestrukturen und in allen Domänen, sondern auch im Bereich der Führung und Finanzen erwartet. Dies gilt sowohl für die Anhebung des ‚Common Funding Budgets‘ im Rahmen der Nato-2030-Agenda als auch hinsichtlich der nachhaltigen Realisierung des 2 %-Zieles des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für die Verteidigungsausgaben“, schloss Admiral Rühle seine Ausführungen.

Admiral Jan C. Kaack, erstmals in Berlin beim Parlamentarischen Frühstück zu Gast, nutzte im Anschluss die Gunst der Stunde und stellte sich und die Aktivitäten der Deutschen Marine kurz vor. Klar und deutlich betonte Kaack unter dem Motto „Nicht während unserer Wache“ die Bündnisfähigkeit der Marine und die Solidarität mit den Partnern im Nordosten Europas. In Anbetracht der avisierten finanziellen Aufstockung der Verteidigungsausgaben forderte er nicht neue Schiffe, sondern vor allem eine bessere Ausstattung mit Munition, eine effizientere Digitalisierung und damit Führungsfähigkeit der Einheiten der Marine sowie eine Straffung der Beschaffungs- und Instandhaltungsmaßnahmen.

Es blieb noch ein wenig Zeit für Fragen an Admiral Rühle und Gespräche sowie die Ehrung unseres DMB-Präsidenten Heinz Maurus für 50 Jahre Mitgliedschaft im BundeswehrVerband, bevor die Abgeordneten dem Bundestag zustrebten, um die Videobotschaft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nicht zu verpassen.

 

Veröffentlicht in Leinen los! 05/2022