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Wie unpassend, diesen Planeten Erde zu nennen,
wenn er doch ganz klar ein Ozean ist. Arthur C. Clarke

7. Parlamentarisches Frühstück in Berlin – Februar 2016

Am 18. Feburar 2016 um 07:45 Uhr fand das 7. Parlamentarische Frühstück der Deutschen Maritimen Akademie in Berlin statt. Organisiert von der Deutschen Maritimen Akademie in zusammenarbeit mit dem Maritimen Industriezirkel Bonn-Berlin (MARINBO), unter der Schirmherrschaft von Herrn Wolfgang Hellmich, MdB, trug der Inspektuer der Marine, izeadmiral Andreas Krause, zu dem Thema „Marine – quo vadis“ vor.

v.l.: Claus Günther, Diehl Stiftung und Beiratsmitglied der DMA, MdB Wolfgang Hellmich (SPD), MdB Matthias Ilgen (SPD), Karl-Dietrich Haase, Vizeadmiral Andreas Krause, Andreas Burmester, Vorsitzender der Geschäftsführung von thyssenkrupp Marine Systems, Flottillenadmiral a.D. Wolfgang Kalähne, Karl Heid, Vorsitzender der DMA

Ansprache des Inspekteurs der Marine, Vizeadmiral Andreas Krause

Sehr geehrter Herr Abgeordneter Hellmich,
sehr geehrter Herr Haase,
meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete,
meine sehr geehrten Kameraden,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
Freunde und Förderer unserer Marine!

Herzlichen Dank für die Einladung heute zum parlamentarischen Frühstück hier in die Hauptstadt nach Berlin und die Gelegenheit, Ihnen zu erläutern, wie ich die Marine für die Zukunft aufstellen möchte. Die Zeit ist knapp bemessen, deshalb möchte ich ohne Umschweife direkt in „medias res“ gehen.
Um zu wissen, welchen Kurs man steuern muss, ist zunächst eine möglichst genaue Standortbestimmung erforderlich. Deshalb möchte ich kurz die Entwicklung der Marine in den letzten 60 Jahren skizzieren.

Die erste Phase unserer Geschichte nach 1956 war geprägt vom Kalten Krieg. Die Bedrohung war damals sehr konkret. Unser Auftrag war die glaubwürdige, konventionelle Abschreckung gegen die Marinen des Warschauer Paktes im Nordatlantik sowie in Nord- und Ostsee. Bundesmarine und Volksmarine standen bereit, gegeneinander zu kämpfen.

Landes- und Bündnisverteidigung in einem quasi statischen System mit berechenbaren politischen und militärischen Akteuren haben unseren Alltag geprägt.

1990, am Ende dieser ersten Phase stand eine schlagkräftige und einsatzbereite Marine mit der Fähigkeit zum hochintensiven Kampf. Perestroika, Glasnost und die Wiedervereinigung Deutschlands markieren den Beginn der zweiten Phase mit gänzlich anderen Vorzeichen.

Mit dem Ende der Blockkonfrontation kam der konkrete Gegner abhanden. Wir waren von Freunden umzingelt. Die Ostsee wurde zum Meer des Friedens. Es folgte für die Deutsche Marine sehr schnell eine Serie neuartiger Einsätze mit dem Schwerpunkt auf Konfliktverhütung und Krisenbewältigung. Die Fähigkeit zum Kampf verlor an Relevanz. In einigen einzelnen Fähigkeitsbereichen, wie zum Beispiel der Ubootjagd, haben wir erhebliche Einbußen hinnehmen müssen. Landes- und Bündnisverteidigung traten eindeutig in den Hintergrund.

Von Politik und Gesellschaft wurde nachhaltig eine deutliche Friedensdividende eingefordert. Der Personalumfang der Marine schrumpfte von über 35.000 auf knapp über 16.000 Männer und Frauen. Der Schiffs- und Bootsbestand wurde auf weniger als ein Drittel reduziert.

Im Ergebnis sahen wir uns einer stetig steigenden Einsatzbelastung bei gleichzeitig chronischer Unterfinanzierung gegenüber. Die führte dazu, dass wir seit geraumer Zeit von unserer Substanz leben. Faktisch mussten wir immer „mehr“ mit immer „weniger“ leisten. Dies konnte uns nur gelingen, weil wir unser Material und – viel schlimmer – unser Personal dauerhaft überbelastet haben. 180 Abwesenheitstage und mehr; und das jedes Jahr als attraktiv zu verkaufen wird mit der Zeit schwierig.

Trotz allem: Es ist uns gelungen, eine ausgewogene Flotte mit breitem Fähigkeitsspektrum zu bewahren und – nicht zuletzt aufgrund hoch motivierten Personals – alle an uns gestellten Aufträge zu erfüllen. Heute stehen wir an der Schwelle einer neuen dritten Phase.

Die Erwartung einer dauerhaften und stabilen Friedensordnung in Europa und seinen Nachbarregionen hat sich nicht erfüllt. Das Thema Landes- und Bündnisverteidigung ist prominent zurück, und hat ebenso eine maritime Relevanz – nicht nur für die Ostsee – wie auch die wachsende Instabilität an den „nassen“, maritimen Grenzen Europas, im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika.

Wir sehen staatliche Akteure, die sich nicht-konventioneller Methoden bedienen, aber auch umgekehrt, nichtstaatliche Akteure, die nach klassisch militärischen Grundsätzen vorgehen und militärische Hochtechnologie einsetzen.

Und nicht zuletzt schreitet die Globalisierung mit großem Tempo voran. Deutschlands Wirtschaftskraft profitiert davon in hohem Maße. Unsere Seehandelswege sind gleichzeitig die Achillesferse unseres wirtschaftlichen Erfolgs.

Angesichts dieser Lage müssen wir die künftigen Fähigkeiten der Marine an den folgenden drei Herausforderungen orientieren: Die Nordflanke des Bündnisses und für uns insbesondere der Ostseeraum erfordern unsere besondere Aufmerksamkeit, weil uns Russland in Nordosteuropa und im Nordatlantik seine wachsenden Fähigkeiten vor Augen führt. Gleichzeitig haben wir in den letzten 25 Jahren dem Ostseeraum als Meer des Friedens wenig Beachtung geschenkt. Die Ostsee als verbindende Trasse zu unseren östlichen Bündnispartnern in der NATO hat eine neue strategische Bedeutung gewonnen. Andererseits hat die Konzentration auf Krisenoperationen an der Peripherie Europas dazu geführt, dass die notwendigen Fähigkeiten für die Randmeerkriegführung – also Fähigkeiten auch für die Ostsee – im Bündnis überproportional abgebaut wurden. Die Südflanke der NATO ist weiterhin von großer Bedeutung. Krisen und Konflikte jenseits der Bündnisgrenzen wirken bis ins Zentrum Europas. Die Südflanke ist maritim durch das Mittelmeer geprägt. Dort liegen wichtige Seeverbindungslinien genauso wie die nasse Außengrenze von NATO und EU. Global richten wir den Blick über den Krisenbogen von Nordafrika über den Nahen und Mittleren Osten bis in den Indischen Ozean und darüber hinaus. Der Indische Ozean mit seinen strategischen Zugängen zu den asiatischen Märkten hat für uns dabei besondere Bedeutung. Zusammengefasst müssen unsere Anstrengungen also in drei Richtungen verlaufen: in den Nordflankenraum, mit zusätzlichem Fokus auf die Ostsee, in den Südflankenraum mit dem Mittelmeer und globale Kenntnis und angemessene Präsenz mit Schwerpunkt im Indischen Ozean.

Die Herausforderung ist also, dass die Marine heute auf Anforderungen – sowohl geografisch als auch fähigkeitsbezogen – im gesamten möglichen Einsatzspektrum vorbereitet sein muss: Die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung steht gleichrangig neben der Fähigkeit zu Konfliktverhütung und Krisenbewältigung sowie den Aufgaben der letzten 25 Jahre.

7. Parlamentarisches Frühstück in Berlin

Meine Damen und Herren,
Die heutigen Rahmenbedingungen sind komplex, in Teilen unübersichtlich und von vielfältigen krisenhaften Entwicklungen geprägt. Sie sind in politischer, gesellschaftlicher und technologischer Hinsicht hoch dynamisch.

Keine Nation ist heute in der Lage, diesen Herausforderungen allein zu begegnen. Multinationale Kooperation wird zum Imperativ!
Wir brauchen ein globales System zur Wahrung maritimer Sicherheit. Strategischen Partnerschaften kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. Wir brauchen Partner, die zur Übernahme regionaler Verantwortung bereit und befähigt sind.

Die Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung schlägt genau in diese Kerbe. Indem sie Mittel bereitstellt, erlaubt die Initiative, zielgerichtet maritime Fähigkeiten dort aufzubauen, wo Lücken bestehen, und trägt so zu regionaler Sicherheit bei.

Wir als Marine unterstützen durch Präsenz, Beratung und Ausbildung. Als größte Marine im Ostseeraum haben wir hier eine besondere Verantwortung. Das gilt für die Landes- und Bündnisverteidigung genauso wie für die Maritime Sicherheit.

Deshalb unsere im letzten Jahr gestartete Initiative zur Baltic Commanders Conference als Impuls einer vertieften multinationalen Kooperation in der Ostsee. Wir werden diesen Dialog im kommenden Monat fortsetzen.

Als Deutsche Marine wollen und können wir – ganz im Sinne des Framework Nations Concept – Anlehnung bieten. Wir werden unsere Ausbildungen vernetzen und wieder vermehrt hochwertige maritime Fähigkeiten im Rahmen von multinationalen Übungen in die Ostsee bringen. Und wir werden Funktionalitäten unseres Maritime Operations Centre für eine Multinationalisierung anbieten, um Operationen im Ostseeraum gemeinsam führen zu können.

Im Gegenzug suchen wir die Unterstützung unserer Partner, dort wo wir nicht über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen. Beispiele dafür sind die gesicherte militärische Seeverlegefähigkeit und die Fähigkeit zu amphibischen Operationen. Hier gehen wir mit der niederländischen Marine einen neuen Weg. Einen richtigen und wichtigen Weg. Denn die Zusammenarbeit zwischen Corps Mariniers und unserem Seebataillon sowie die gemeinsame Nutzung des niederländischen Mehrzweckversorgungsschiffes KAREL DOORMANN sind mehr als eine simple Kooperation. Sie sind für uns ganz konkret der Aufbau neuer Fähigkeiten im Bereich Amphibik. Und wir werden der politischen Erklärung der Ministerinnen schnell Taten folgen lassen: Mitte März wird die KAREL DOORMANN nach Eckernförde kommen, dort Gefechtsfahrzeuge und Personal des Seebataillons aufnehmen. Im Juni wird eine gesamte Kompanie des Seebataillon auf dem niederländischen Schiff Johann de Witt eingeschifft und gemeinsam mit niederländischen Soldaten im Rahmen des großen maritimen NATO-Manövers BALTOPS trainieren Mittelfristig ist es unser Ziel, bereits 2017 gemeinsam an einer großen amphibischen Übung teilzunehmen und so schnellstmöglich die Interoperabilität zwischen beiden Verbänden zu erreichen und Expertise auszutauschen.

Und meine Damen und Herren, erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang einen kurzen Exkurs: Dieses Beispiel ist beileibe nicht der erste Erfolg Internationaler Kooperation. Von Anfang an unterstellen wir regelmäßig unsere Schiffe der NATO. Mehr noch: Mit der multinationalen Ausbildung beim britischen Flug Officer Sei Training in Portsmouth bekommen unsere Schiffe den letzten Schliff. Ihre Zertifizierung zur vollen Einsatzfähigkeit wird dort erteilt. Ähnliches gilt für unsere Minensucher, sie werden im belgischen Ostende zertifiziert.

Am Ausbildungszentrum Uboote in Eckernförde qualifizieren wir nicht nur unseren Nachwuchs für Ubootkommandanten, sondern auch viele Nationen weltweit entsenden ihre künftigen Kommandanten nach Deutschland. Diese Ausbildung ist als so hochwertig anerkannt, dass ein französischer Offizier auf der Basis dieser bestandenen Ausbildung, ohne weitere nationale Prüfung in Frankreich, als Kommandant eines Atom-Ubootes eingesetzt wurde.
Im letzten Jahr führte ein niederländischer Stabsoffizier einen der ständigen Minenabwehrverbände der NATO von Bord eines deutschen Tenders. Im zweiten Halbjahr diesen Jahres wird es ein estnischer Offizier sein, der von der WERRA aus den Verband führt.

Die polnische Marine plant derzeit ihre Uboote aus dem Maritimen Operationszentrum in Glücksburg gemeinsam mit uns zu führen.
Diese Reihe an Beispielen ließe sich fast beliebig fortführen, denn Multinationalität ist unserer Marine quasi in die Wiege gelegt, es ist unser Markenzeichen.

Internationale Kooperation ist jedoch kein Selbstzweck. Wie die Zusammenarbeit mit der niederländischen Marine zeigt, dient sie der Abrundung unseres nationalen Fähigkeitsprofils. Wenn wir allerdings weiterhin Kooperation gestalten und auch Anlehnung bieten können wollen, dann müssen wir substantielle, qualitativ hochwertige maritime Fähigkeiten einbringen können. Nur dann sind wir für Kooperationspartner attraktiv. Hier sind wir mit unserer ausgewogenen Flotte und ihrer Fähigkeit zur dreidimensionalen Seekriegführung gut aufgestellt.

Das beweist auch das jüngste Beispiel. Die Entsendung der Fregatte AUGSBURG als Begleitschutz für den französischen Flugzeugträger CHARLES DE GAULLE im Persischen Golf. Hier waren wir nur deshalb in der Lage, sehr kurzfristig ein Schiff zu entsenden, weil wir bei allen Diskontinuitäten der letzten Jahre an unserer Ausbildung zum hochintensiven Kampf stets festgehalten haben. Nur, weil das Schiff die höchste Einsatzausbildung absolviert hatte, konnten wir es statt in die Operation SOPHIA verzugslos in diesen Einsatz schicken. Statt eines Einsatzes niedriger Intensität in einen Einsatz hoher Intensität.
Die dazu erforderlichen personellen und materiellen Maßnahmen, wie z.B. die Einschiffung von 2 Bordhubschraubern und das Anbordnehmen benötigter Munition, wurde innerhalb eines Wochenendes auf Kreta durchgeführt.

Dieses Beispiel zeigt: Das Festhalten an der Fähigkeit zum hochintensiven Gefecht, über Wasser, unter Wasser und gegen Luftbedrohung ermöglicht es für alle Einsatzoptionen vorbereitet zu sein. Das ist unser Maßstab! Wenn wir das können, dann können wir auch weniger intensive Operationen abdecken. Es geht aber nur in dieser Richtung und nicht anders herum. Ich spreche in diesem Zusammenhang gern von Abwärtskompatabilität. Für die Zukunft kommt es mir darauf an, dass wir uns weiterentwickeln und unser Portfolio durch neue Fähigkeiten ergänzen. Sei es durch multinationale Kooperationen oder eigenständig. Wir modernisieren die Marine, um sie zukunftsfähig und flexibel für neue sicherheitspolitische Entwicklungen zu machen.

Flexibilität ist dabei eine Kernforderung an die Marine und unterstreicht ihren Wert. Und in der Tat haben die letzten zwei Jahre genau dies bewiesen: Mit der zum Teil sehr kurzfristigen Beteiligung an den Operationen zur Vernichtung syrischer Chemiewaffen, der EU-geführten Operation SOPHIA und der Beteiligung an COUNTER DAESH haben wir als Deutsche Marine unsere Relevanz unterstrichen. Allerdings werden wir diesen Standard nur halten können, wenn es wieder gelingt, Reserven zu bilden. Und in den letzten 25 Jahren konnten wir dies nur auf Kosten des Personals, auf Kosten des Materials und mit viel Kreativität leisten. Unsere Besatzungen haben wir lange, zum Teil viel zu lange Abwesenheitszeiten zugemutet. Unsere Schiffe – beispielsweise die Fregatten der Klasse 122 – haben wir viel länger in Dienst gehalten als je geplant. Der Not gehorchend haben wir mit viel Kreativität die aus finanziellen Gründen unzureichende, zum Teil ganz aufgegebene Ersatzteilbevorratung zu kompensieren versucht.

Das hat alles mehr oder weniger gut funktioniert: Weil unsere Besatzungen trotz allem motiviert und professionell alle Aufträge angenommen und erledigt haben – so gut, dass wir uns im internationalen Vergleich nicht zu verstecken brauchen.

Weil wir von der Industrie gutes, robustes Material erhalten. Der vor 26 Jahren in Dienst gestellten Fregatte AUGSBURG sieht man ihr Alter wahrlich nicht an.
Und weil all unsere Anstrengungen der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung galten.

So können wir vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischen Lage allerdings nicht weiter machen. Wir operieren heute am Limit.
Reserven sind letztlich auch eine Frage der Anzahl der Schiffe, Boote und Luftfahrzeuge der Marine.

Bevor wir jedoch die Frage nach der Anzahl von schwimmenden Einheiten für die Marine nochmals überdenken, werden wir zunächst die Verfügbarkeit der vorhandenen Einheiten optimieren. Und das tun wir – wiederum mit Mut und Kreativität.

Eine Möglichkeit dazu sind Mehrbesatzungskonzept, Intensivnutzung und Einsatzausbildungszentren. Sie sind der richtige Weg in die Zukunft. Mit der Fregatte 125 gehen wir erstmalig diesen Weg.

Denn durch die Verlagerung von Ausbildungsabschnitten in Einsatzausbildungszentren vor Ort an Land stehen die Schiffe parallel für Einsätze zur Verfügung. Die Zentren bieten eine moderne, unter Nutzung von Simulationstechnologie attraktive Ausbildung und sie entlasten die für den Einsatz dringend erforderlichen Schiffe und Boote von Aufgaben der Ausbildung. Darüber hinaus bieten sie vielfältige Möglichkeiten der dringend notwendigen Vernetzung zur streitkräftegemeinsamen und multinationalen Ausbildung.

Gleichzeitig gelingt es uns, mit der Intensivnutzung rechnerisch den Verfügungsbestand in unserer Flotte zu erhöhen. Denn die Intensivnutzung verlängert die Stehzeit der Schiffe im Einsatzgebiet. Bei gleicher Anzahl der Schiffe gelingt es also, Flexibilität zu erhöhen und zusätzliche Einsätze parallel durchführen zu können.

Intensivnutzung erfordert jedoch gleichzeitig ein Mehrbesatzungskonzept. Denn es gilt, die Abwesenheitsbelastung unserer Besatzungen zu begrenzen, die Planbarkeit zu erhöhen und so einen wesentlichen Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Dienst und Familie zu leisten.

Das hilft uns hoffentlich auch bei der Personalgewinnung und Personalbindung. Wir haben zwar derzeit kein allgemeines Problem mit den Bewerberzahlen. Allerdings gelingt es heute schon nicht, in allen Bereichen den Personalbedarf zu decken. Das gilt insbesondere für Elektrotechnik, Elektronik und Informatik.

Neue Werbestrategien und -kampagnen dagegen zu setzen, ist richtig und gut. Auch das Artikelgesetz, die Agenda Attraktivität und die Soldatenarbeitszeitverordnung kommen zum richtigen Zeitpunkt und werden konsequent umgesetzt. Trotzdem, dies alles wird nicht ausreichen.
Der Schlüssel zum Erfolg ist das Binden unseres Personals und das Erschließen neuer Potenziale junger Menschen, die in unserer Marine dienen wollen.
Warum also nicht unser Eignungsfeststellungsverfahren in ein Verfahren zur Potenzialfeststellung wandeln, um die fehlenden Fähigkeiten dann in der Marine auszubilden?

Für die Personalbindung wollen wir den Berufssoldaten für Mannschaften und Unteroffiziere ohne Portepee einführen, die besonderen Altersgrenzen für Berufssoldaten anpassen oder aufheben, die Mitnahme von Pensionsansprüchen beim Wechsel zu einem zivilen Arbeitgeber ermöglichen und die Lebensarbeitszeit flexibilisieren. Doch dies bedarf Ihrer Unterstützung, meine Damen und Herren Abgeordnete. Denn dazu müssen bestehende Gesetze teilweise angepasst werden.

Die konsequente Trennung von Schiff und Besatzung sowie die Verlagerung der Ausbildung an Land steigern jedoch nicht nur die Attraktivität. Alles zusammen erhöht noch dazu die Verfügbarkeit der Schiffe und Boote.

Doch allein das Erhöhen der Verfügbarkeit unserer Einheiten wird nicht ausreichen, weil der überproportionale Abbau von Schiffen und Booten in der NATO nach 1990 den heutigen sicherheitspolitischen Erfordernissen nicht mehr gerecht wird.

Mit Blick auf die Ostsee und die vielfältigen Fähigkeitsanforderungen im Randmeer müssen wir noch einmal über die Anzahl der Schiffe und Boote nachdenken. Dabei gilt es für die Deutsche Marine, nicht nur rein nationale Fähigkeitsforderungen zu betrachten, sondern diese mit unseren Bündnispartnern abzustimmen und Defizite im maritimen Fähigkeitsverbund gemeinsam zu schließen.

Damit meine ich nicht nur die in multinationaler Rüstungskooperation von mehreren Nationen gleichzeitig beschlossene Beschaffung oder eine darauf aufbauende gemeinsame Ausbildung. Sondern zusätzlich die Integration in einen multinationalen Verband. Ein solcher Dreiklang von multinationaler Beschaffung, Ausbildung und Einsatz wäre ein weiterer, ein mutiger Schritt auf dem Weg zu einer europäischen Marine.

Damit bin ich beim Thema Material.
Auch hier wollen wir effizienter werden. Wir müssen an allen Stellschrauben für eine bessere materielle Einsatzbereitschaft drehen, damit Schiffe, Boote und Luftfahrzeuge für Einsätze überhaupt verfügbar sind.

Dazu gehört eine äußerst sorgfältige Abstimmung von Außerdienststellung alter und Zulauf neuer Schiffe, Boote und Luftfahrzeuge.
Weder kann sich die Deutsche Marine aus operativer Sicht eine Verzögerung erlauben, noch aus organisatorischer und personeller Sicht einen anhaltenden Parallelbetrieb leisten.

Wir haben deswegen, in Abstimmung mit dem BMVg, den strategischen Dialog zwischen wehrtechnischer Industrie, dem Planungsamt der Bundeswehr und dem Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung angestoßen, um die Berücksichtigung der Interessen der Marine zu verbessern. Die in den letzten 25 Jahren eingeforderte Friedensdividende hat dazu geführt, dass wir Schiffe und Boote ohne eine notwendige Bevorratung erforderlicher Ersatzteile in Dienst stellen mussten. Nicht akzeptable Verzögerungen bei Wartung und Instandsetzung sind die Folge. Der „gesteuerte Ausbau“ ist zur täglichen Routine geworden und führt zum Leben von der Substanz. Genau dieses Spannungsfeld zwischen jahrelanger Unterfinanzierung und notwendiger Ausstattung wird vor dem Hintergrund der aktuellen sicherheitspolitischen Lage unmissverständlich deutlich.

Meine Damen und Herren!
Lassen Sie mich kurz zusammenfassen:
Wir stehen am Anfang einer neuen Ära, einer dritten Phase der Geschichte unserer deutschen Marine.
Wir sehen uns heute komplexen Bedrohungen und Herausforderungen an verschiedenen Flanken des Bündnisgebiets ausgesetzt:
im Norden, im Süden und einem globalen Kontext.

Landes- und Bündnisverteidigung stehen gleichberechtigt neben Einsätzen zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung.
Maritime Sicherheit gewinnt weltweit an Bedeutung.

Besonders der Indische Ozean mit seinen strategischen Seehandelswegen von Europa nach Asien ist von erheblicher Relevanz.
Die Marine leistet einen bemerkenswerten Beitrag zum Erhalt von Frieden, Sicherheit und Stabilität. Wir stehen zurzeit in fünf Einsätzen parallel. Zusätzlich beteiligen wir uns an den ständigen maritimen NATO-Verbänden, die es zu revitalisieren gilt. Denn sie beherrschen das „high end“ und sind der maritime Beitrag zu den ersten Kräften der NATO Response Force. Diese Aufgabe ist wichtig, weil wir damit unsere Bündnissolidarität beweisen und unser Gewicht im Bündnis unterstreichen. Außerdem übernehmen die ständigen maritimen NATO-Verbände durchaus und immer wieder Einsatzaufgaben.

Trotz all dieser Herausforderungen – allem Sturm, der uns entgegen weht, erfüllen wir tagtäglich unseren Auftrag. Und das werden wir auch zukünftig tun.
Aber: Eine Trendwende ist geboten. Noch haben wir gerade genügend Substanz, um in einem überschaubaren Zeitraum unsere Marine passend für die strategische Lage zu rüsten.

Mit der Forderung nach einer aufgabenorientierten Ausstattung und Ausrüstung für die Bundeswehr ist diese Trendwende eingeleitet. Wir sind damit auf dem richtigen Weg, die durch die Friedensdividende entstandenen Defizite auszugleichen. Die Initiative, in den nächsten 15 Jahren insgesamt
130 Milliarden Euro für die aufgabengerechte Ausstattung vorzusehen und damit den investiven Anteil des Verteidigungsetats auf 20% anzuheben, ist dringend notwendig.

Wir werden damit allerdings die Herausforderungen nicht von heute auf morgen in einem Sprint lösen können. Vielmehr müssen wir uns auf einen langen Prozess einstellen, der die nächsten 15 bis 20 Jahre andauern wird – einen Marathon, der von uns allen Ausdauer und Durchhaltewillen fordert.
Gemeinsam wird uns die Trendwende gelingen. Denn der heutige Zustand der Marine bietet eine gute Ausgangslage, da es uns gelungen ist, eine ausgewogene Flotte mit breitem Fähigkeitsspektrum zu bewahren.

Jetzt kommt es darauf an, dass wir die richtigen Schlüsse aus der sicherheitspolitischen Lage ziehen und auch über die dementsprechend angemessene Anzahl der Schiffe, Boote und Luftfahrzeuge der Marine nachdenken. Dafür möchte ich um Ihre Unterstützung werben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Fotos: Willi Leitner