Zu teuer, zu spät, zu viele Mängel – 12. Maritimes Expertengespräch Laboe
Das 12. Maritime Expertengespräch Laboe fand am 20. Februar 2020 in Laboe statt. Die Historische Halle des Marine-Ehrenmal war – kein Wunder bei diesem brisanten Thema – bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Vorträge der Referenten – es gilt das gesprochene Wort – veröffentlichen wir im „gelben“ Sonderteil dieses Heftes. Den Beitrag von Dr. Jeremy Stöhs, Non-Resident Fellow am Institut für Sicherheitspolitik, Kiel reichen wir im Sommer nach. Wir steigen ein mit der Begrüßung der Referenten und Gäste durch den Ehrenpräsidenten des DMB Karl Heid und der Einführung in das Thema durch den Organisator der Expertengespräche, Ministerialrat a.D. Jörg Alter.
Begrüßung durch Karl Heid
Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren, liebe Kameradinnen und Kameraden,
ich darf Sie sehr herzlich zum 12. Maritimen Expertengespräch in Laboe begrüßen. Ich freue mich, dass Sie so zahlreich teilnehmen.
Leider kann unser Präsident Heinz Maurus wegen eines dringenden anderen Termins heute nicht dabei sein. Er hat mich gebeten ihn zu vertreten und Ihnen „herzliche Grüße“ auszurichten. Bei so viel Prominenz und Kompetenz aus Marine, Wirtschaft und Verbänden, die heute und hier versammelt ist, sehen Sie es mir bitte nach, dass ich nicht alle protokollgerecht begrüßen kann. Ich möchte mich daher auf unsere Experten beschränken, die uns heute den Weg durch das Labyrinth der Rüstungsbeschaffung und Instandsetzung mit dem Schwerpunkt Marine führen sollen.
Ich begrüße sehr herzlich den Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Verteidigungsausschuss und DMB-Mitglied Ingo Gädechens, Konteradmiral Frank Lenski, Abteilungsleiter Einsatzunterstützung im Marinekommando, Andreas Burmester, Mitglied der Geschäftsführung thyssenkrupp Marine Systems, Bernd Wittorf, Leiter Reparatur und Überholung German Naval Yards, und den Vertreter des Instituts für Sicherheitspolitik, Kiel, Jeremy Stöhs, der mit seiner Anreise aus der Steiermark sicherlich die längste Anfahrt hatte. Weiterhin danke ich unseren Co-Partnern der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, hier vertreten durch den Landesvorsitzenden Harry Preetz, unserem Moderator Oberstleutnant a.D. Wolfgang Ludwig, dem Institut für Sicherheitspolitik Uni Kiel, vertreten durch Herrn Dr. Sebastian Bruns. Der Deutsche Marinebund als größter deutscher maritimer Interessenverband Deutschlands setzt sich seit über hundert Jahren für die Interessen der Seefahrt und der Marine ein. Das Spektrum seines Wirkens hat sich aber darüber hinaus kontinuierlich erweitert. Z.B. kämpft der DMB seit Jahren in Zusammenarbeit mit Umweltschutzverbänden für den Erhalt und den Schutz von Meeren und Küsten. Die Rolle der Meere beim Klimawandel wird dann auch der nächste Schwerpunkt unserer Expertengespräche sein. Heute soll aber ein Thema diskutiert werden, das unsere Kernthemen Marine und maritime Wirtschaft unmittelbar betrifft. Rüstungsbeschaffung und Instandsetzung ist für die Bundeswehr seit Jahren ein Reizthema, das sich sehr belastend – um es zurückhaltend auszudrücken – auf die Einsatzbereitschaft der Truppe auswirkt. So hatte dann auch die Einsatzfähigkeit der Marine 2018 ihren Tiefpunkt erreicht, als von 46 Einheiten die Hälfte der Flotte an der Pier oder in der Werft lag. Ganze Besatzungen saßen buchstäblich auf dem Trockenen. Den anderen Teilstreitkräften ging es mit ihrem Großgerät nicht besser. Wo liegen die Gründe für diesen nicht akzeptablen Zustand?
Das zentrale Erfordernis für eine moderne und vollständig ausgerüstete Bundeswehr bleibt eine Beschleunigung und Qualitätsverbesserung in der Beschaffung. Und genau da hapert es noch. In seinem Bericht hat der Wehrbeauftragte viele Mängel aufgezählt und zum Teil mit deutlichen Worten kritisiert. Eine Trendwende Material ist also unverzichtbar, weil die Bundeswehr bis 2031 zu einer vollausgerüsteten Truppe aufwachsen soll. Das heißt, dass auch die Marine modernere und deutlich mehr Schiffe und Boote erhalten soll.
Die Politik stellt die Mittel zur Verfügung, aber Geld ist nicht alles. Die Trendwende Material muss im Ministerium, beim Beschaffungswesen und bei der maritimen Wirtschaft umgesetzt werden. Genau darüber wollen wir heute diskutieren und mehr Transparenz in die Thematik bringen und vielleicht auch neue Lösungsansätze diskutieren. Ein Blick auf unsere europäischen Nachbarn dürfte dabei hilfreich sein.
Ich freue mich auf die Statements unserer Experten und auf eine hoffentlich lebhafte Diskussion. Zunächst aber wird unser langjähriger Ideengeber und Organisator der Expertengespräche, Ministerialrat a.D. Jörg Alter, eine Einführung in das Thema geben. Noch einmal herzlichen Dank für Ihr Kommen!
Einführung in das Thema Rüstungsbeschaffung und Instandsetzung
Von Jörg Alter
Zu teuer, zu spät und zu viele Mängel bei Rüstungsbeschaffung und Instandsetzung. Das sind deutliche Worte, die wir im Interesse unserer Streitkräfte, heute insbesondere für unsere Marine diskutieren müssen. Dies gilt umso mehr, weil auch wieder ganz aktuell in der Münchener Sicherheitskonferenz zugesichert wurde, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernehmen muss. Das hatte bereits vor sechs Jahren der damalige Bundespräsident angemahnt. Mehr Verantwortung heißt aber auch, diese mit militärischen Mitteln zu hinterlegen, wenn die diplomatische Karte ausgereizt ist. Aber diese Mittel sind begrenzt. Immerhin, die Verteidigungsministerin hat reagiert und dazu in München erklärt, dass sie die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch eine „Initiative Einsatzbereitschaft“ so erhöhen will, dass noch in diesem Jahr Ausrüstung und Kampfkraft spürbar verbessert werden. Die Diskussion um das Desaster bei der Grundsanierung der „Gorch Fock“ hat auch in der Öffentlichkeit Unverständnis über die Abläufe bei Beschaffung und Instandsetzung für die Streitkräfte ausgelöst. Hier muss sich also etwas grundlegend ändern und verbessern. Was ist bisher schiefgelaufen, wo liegen die Ursachen und welche Handlungsoptionen sind eingeleitet oder geplant? Eine Aufarbeitung ist umso notwendiger, weil in den nächsten 10 Jahren der umfassendste Modernisierungsprozess in der Geschichte der Marine geplant ist. Ihr wurde vorgegeben, künftig mindestens 15 Schiffe und Boote gleichzeitig zum Kampf über und unter Wasser sowie gegen Bedrohungen aus der Luft bereitzustellen. Der Investitionsbedarf wird auf mindestens 25 Mrd. Euro geschätzt. Um diesen Prozess voranzutreiben und erfolgreich zu machen, bedarf es also einer gut funktionierenden Beschaffung. Keiner bestreitet mehr, dass die Bundeswehr im Rahmen der sogenannten „Friedensdividende“ kaputtgespart wurde. Heute gibt die Politik zu: „wir haben uns geirrt“. Der Wehrbeauftragte zieht aus diesem Dilemma m.E. die richtigen Schlüsse: „Es gibt heute keine Erkenntnisprobleme, sondern die Herausforderung heißt umsetzen!“ So ist es nun erklärtes Ziel der Politik, alle Teilstreitkräfte mit einem Investitionsbedarf von über 200 Mrd. Euro wieder aufwachsen zu lassen, um dann 2031 eine „Grundaufstellung bzw. Vollausrüstung“ zu erreichen, die die Streitkräfte voll umgänglich befähigen soll, sowohl Auslandseinsätze durchzuführen als auch wieder „Deutschland und das Nato-Bündnisgebiet verteidigen zu können“. Die letztere Fähigkeit bedeutet z.B. für die Marine, dass der Fokus auch wieder auf die Ostsee, die Nordflanke und die Sicherung der Seeverbindungen nach den USA und Kanada gerichtet werden muss. Voraussetzung für den Aufwuchs der Streitkräfte und die Trendwende Material ist die politische Weichenstellung für eine ausreichende finanzielle Ausstattung der Bundeswehr. Die Bundeskanzlerin hat in der Generaldebatte zum Haushalt 2020 hier deutliche Zeichen gesetzt. Sie hat sich ohne Einschränkungen zur Nato und zu höheren Rüstungsausgaben bekannt. Danach soll der Verteidigungshaushalt 2020 auf 1,42 % (in Zahlen 45,1 Mrd. Euro), bis 2024 auf 1,5 % und Anfang der 2030er-Jahre auf 2 % des BIP steigen. Sie betonte noch „darauf können Sie sich verlassen“. Aber Geld ist nicht alles. Auch wenn ausreichende Mittel vorhanden sind, hängt die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte von einer funktionierenden Beschaffung und Instandsetzung ab. Gibt es dort grundsätzliche Probleme, sind Auftrags- und Aufgabenerfüllung nicht mehr gewährleistet bzw. müssen zurückgefahren werden. Diesen Zustand haben wir trotz aller angekündigten Trendwenden erreicht, und die Bundeswehr ist damit nur noch „bedingt einsatzfähig“. So hatte z.B. die Marine 2018 ihren bisherigen Tiefstand erreicht, als von 46 Einheiten 23 in der Werft oder an der Pier lagen. Ganze Besatzungen saßen sprichwörtlich auf dem Trockenen. Von Herbst 2017 bis Frühjahr 2018 war keines der sechs U-Boote der neuen Klasse 212 A einsatzbereit. Unsere U-Boote „Made in Germany“ gelten weltweit als die besten, machen aber immer wieder Probleme. Auch im August 2019 lagen wieder 4 Boote in der Werft. Dieser desolate Zustand kommt natürlich zur Unzeit, denn die weltweite Sicherheitslage, auch vor unserer Haustür – ich nenne nur beispielhaft das Mittelmeer – ist mehr als fragil, und Deutschland kommt in eine Rolle, wo es jetzt und heute mehr Verantwortung tragen muss. Dies bedeutet nicht automatisch militärischen Einsatz, der ja immer das letzte Mittel der Politik sein soll, aber es bedeutet schon, dass Streitkräfte überhaupt erst einmal voll einsatzfähig sein müssen. Die Trendwende Material und neue Strukturen in der Beschaffung wurden eingeleitet, sind aber in der Truppe – so der Wehrbeauftragte und auch die Marine – noch nicht angekommen. Um bei unserem Thema mehr Transparenz zu bekommen, bedarf es einer kurzen Vorstellung der wichtigsten Akteure und ihr Zusammenwirken. Ich beschränke mich dabei auf die Politik, die Marine, das Beschaffungsamt in Koblenz und auf die maritime Wirtschaft.
Politik
Die Politik hat mit ihrem Weißbuch 2016 den verteidigungs- und außenpolitischen Rahmen gesetzt. Sie hat ihren Irrtum mit der „Friedensdividende“ zugegeben und stellt nun die notwendigen Haushaltsmittel zur Verfügung. Diese müssen aber bis 2031, also bis zur Vollausstattung, nicht nur angekündigt, sondern auch kontinuierlich fließen. Ich verweise auf die Aussagen der SPD und der Oppositionsparteien, die eine Aufstockung des Wehretats überaus kritisch sehen und von Aufrüstung sprechen. Der Marine-Überwasserschiffbau wird künftig als Schlüsselindustrie gefördert und muss nicht mehr europaweit ausgeschrieben werden. Nachgeholfen hat dabei die einhellige Kritik von Landespolitikern und Gewerkschaften an der Auftragsvergabe für das bisher größte Projekt der Marine, das Mehrzweckkampfschiff MKS 180, mit einem Auftragsvolumen von 5,27 Mrd. Euro, das vorbei an German Naval Yards, Kiel, an die holländische Werftengruppe Damen ging.
Marine
Die Marine mit ihrer strategischen Mobilität auf den Weltmeeren wird künftig noch mehr außenpolitische Relevanz haben als bisher und ist damit wichtiges Instrument der Außenpolitik. Eine Marine, die zum weltweiten Einsatz befähigt sein soll, muss hohe Anforderungen an ihre Ausrüstung stellen. Sie muss nicht nur präsent, sondern auch zum Kampf hochintensiver dreidimensionaler Gefechte befähigt sein. Was kann die Marine selbst tun, wie kann sie zu einer Verbesserung und einer wirksamen Kontrolle der Beschaffungen und Instandsetzungen beitragen? Hat sie nach ihrem materiellen und personellen Schrumpfungsprozess noch die notwendige Expertise bzw. das Know-how, um Neuentwicklungen zu begleiten, um Werften zu kontrollieren und Mängel aufzuzeigen? Muss es nicht wieder wie vor 25 Jahren eine stärkere Kontrolle der Qualitätssicherungssysteme der Werften und ihrer Unterlieferanten und die Überprüfung der Einhaltung vertraglicher Vorgaben bei der Fertigung und Inbetriebnahme deutscher Kriegsschiffe geben? Sind die Verantwortlichkeiten zu verbessern und können Kommandanten und schiffstechnische Offiziere mit mehr Entscheidungsbefugnissen bei Reparaturen an Bord und in den Werften ausgestattet werden und können die Fehlentscheidungen bei den Marinearsenalen wieder rückgängig gemacht werden?
Die Herausforderungen sind groß, wenn die neuen Fregatten der Klasse 125, die Ergänzungsbeschaffung von 5 Korvetten, das Mehrzweckkampfschiff 180, U-Boote der Klasse 212 CD, neue Flottentanker, neue Hubschrauber und die Befähigung zum Einsatz von Drohnen im Kostenrahmen zeitgerecht und ohne Mängel umgesetzt werden sollen.
Das Beschaffungsamt in Koblenz
Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), wie es etwas sperrig heißt, einfach als Bummelbehörde abzutun, ist zu kurz gegriffen. Die Behörde muss die Bereiche Rüstung und Nutzung gleichermaßen bedienen. Es müssen dazu jährlich über 10.000 Beschaffungsverträge ausgearbeitet werden. Eines der Kernprobleme ist der permanente Personalmangel. Der ehemalige Personalstamm von 15.000 bis 20.000 Dienstposten wurde auf heute 11.400 reduziert, von denen dazu noch 2.200 mangels qualifizierter Bewerber nicht besetzt werden können. Dazu kommt der Mangel an Spezialisten, die im Rahmen des Personalabbaus in die Wirtschaft gewechselt sind. Hindernisse sind aber auch eine starre Laufbahnverordnung und fehlende Personalhoheit des Amtes. Schon heute versucht man durch den Einkauf externer Unterstützungsleistungen den Mangel zumindest z.T. zu kompensieren. Eine amtliche Kompetenz muss aber bei der Vielfalt von Rüstungsgütern gefordert werden, sonst dominiert die Wirtschaft mit ihrem Gewinnstreben. Es wird seit langem versucht, bürokratische Abläufe zu entschlacken, die Abstimmungsverfahren zu verkürzen und Verantwortlichkeiten klar zu definieren. Aber die ständige Kritik an der Behörde hat Folgen, und die Verunsicherung der Beschäftigten ist groß, niemand möchte Fehler machen und Verantwortung auf die eigenen Schultern nehmen. Das hat zur Folge, dass darunter natürlich der Zeitfaktor leidet. Im September 2019 fiel nun der Startschuss für eine erneute Reform der Beschaffungsorganisation. Der Wehrbeauftragte weist im Bericht 2019 auf drei Phasen hin:
- Die Erweiterung der Organisationshoheit des Bundesamtes und längere Stehzeiten für das Fachpersonal
- Die Ausweitung des Organisationsprinzips „Kompetenzpool“
- Verlagerung des Einkaufs in andere Bereiche der Bundeswehr
Die Wirkung aller Maßnahmen soll in einem neuen Controlling-System laufend bewertet werden. Ein Sofortprogramm für Ausrüstung wird aufgelegt, so soll die Marine künftig auch Schiffe wieder selbst reparieren dürfen.
Maritime Wirtschaft
Die Frage nach ausreichender Leistungsfähigkeit der maritimen Industrie beim deutschen Marine-Überwasserschiffbau muss jedenfalls heute noch gestellt werden. So konnten die Werften seit 20 Jahren keinen Neubau mehr zeitgerecht, im Kostenrahmen und ohne Mängel abliefern. Die „Gorch Fock“ ist nur ein Beispiel, vielleicht auch eine Ausnahme wegen z.T. krimineller Vorgänge in der Werft. Nehmen wir aber als weiteres Beispiel die Indienststellung der Fregatte F 125 Baden-Württemberg, die zunächst wegen zahlreicher Mängel vor über zwei Jahren an die Werft zurückgegeben werden musste. Ein bisher einmaliger Vorgang. Mängel, überlange Werftliegezeiten und explodierende Kosten bei vielen Projekten lassen Zweifel aufkommen. Wo liegen die Ursachen, zumal die Werften beim Bau von Kriegsschiffen für ausländische Marinen erfolgreich sind, auch im Zeitfaktor? Die Marine ist bei den wenigen Aufträgen kein Premiumkunde mehr, und die Zusammenarbeit muss „dringend verbessert werden“, so äußerte sich die Werftindustrie schon bei einer Diskussion mit dem DMB im Oktober 2018. Heute betonen die Werften immer wieder, dass die Kommunikation verbessert werden soll und das früher vorhandene Vertrauen zu unserer Marine wieder hergestellt werden muss. Mit dem Aufwuchs der Marine ist jetzt eine Trendwende eingeleitet. Die Werften können höhere Stückzahlen produzieren und damit wirtschaftlicher arbeiten. Zudem wurde durch die Verabschiedung des neuen Strategiepapiers zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik durch die Bundesregierung der Marine-Überwasserschiffbau als Schlüsseltechnologie aufgewertet. Die künftig nur noch nationale Ausschreibung bei Neubauten sichert mehr Aufträge.
Fazit
Die angespannte sicherheitspolitische Lage in der Welt aber auch direkt vor unserer Haustür gibt den Takt vor. Alle Akteure der Rüstungsbeschaffung stehen daher unter Erfolgszwang. Die Mängel sind erkannt, und die Verbesserungsmaßnahmen auf allen Ebenen eingeleitet. Die gute Nachricht ist jedenfalls: Die Marine wächst wieder und die Rüstungsprojekte der Marine sind auf einem kontinuierlich guten Weg. Ich gehe aber nicht davon aus, dass künftig alles reibungslos läuft, aber die stetige Abwärtsspirale ist gebremst.
Wir haben ein Umsetzungsproblem
Von Ingo Gädechens
Die Deutsche Maritime Akademie hat das diesjährige Maritime Expertengespräch unter den Titel „Zu teuer, zu spät, zu viele Mängel! – Rüstungsbeschaffung und Instandsetzung in der Kritik!“ gestellt. Bereits der bekannte Spiegelartikel „Die Ritter der Drachenburg“ von Ulrike Demmer aus dem Jahr 2011 beschrieb die schwierigen Zustände im BMVg und BAAINBw, „die Verantwortungsdiffusion“, wie es der heutige Wehrbeauftragte nennt. Damals, wie heute ist dieser Artikel noch aktuell, die Probleme sind z.T. dieselben Probleme wie heute. Daraus folgt: Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem.
Es wäre jedoch falsch zu glauben, dass die Politik tatenlos zusieht, auch wenn sie bisweilen – wie ich selbstkritisch anfügen möchte – Teil des Problems ist. Viel wurde in den vergangenen Jahren unternommen, um die Missstände in der Bundeswehr zu beheben, eine schnellere Beschaffung, eine verbesserte Instandsetzung und damit eine erhöhte Einsatzbereitschaft unserer Streitkräfte zu realisieren. Beginnend mit dem Jahr 2014 haben wir unter dem Eindruck der russischen Annexion der Krim und des Konfliktes im Donbass die richtigen Trendwenden in den Bereichen Finanzen, Personal und Material eingeleitet. Und während in den ersten Bereichen Finanzen und auch Personal ein Umsteuern gelungen ist: So ist der Etat in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, um den gewachsenen Anforderungen an die Bundeswehr nachzukommen. Und auch unsere Bewerberzahlen sind nicht so schlecht, unsere Marineschulen laufen voll, der Trend ist grundsätzlich positiv. Wo es besonders hakt, ist die materielle Ausstattung der Bundeswehr: Die ehemalige Staatssekretärin Suder hatte versucht, mit Beratern Tempo in die Beschaffung zu bekommen, insbesondere bei den Leuchtturmprojekten wie dem MKS 180. Ob die europäische Ausschreibung nun richtig war, oder nicht: Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass es bereits vor dem europäischen Ausschreibungsverfahren durchaus berechtigte Kritik aus dem parlamentarischen Raum an dieser geplanten Vergabepraxis der Exekutive gab.
Dass das Ergebnis des Ausschreibungsverfahrens nun den Abgesang der deutschen Marineschiffbauindustrie darstellt, sei dahingestellt. Wichtig ist, die Marine braucht die MKS 180 rechtzeitig. Sonst entsteht ab den 2030er-Jahren eine Fähigkeitslücke, die wir nicht wirklich haben dürfen. Ich kann nur an alle Projektbeteiligten appellieren, sich auf einen gütlichen Modus operandi zu einigen. Das wäre im Interesse aller.
Auch wenn Frau Suder vieles richtig angestoßen hat – wie ein verbessertes Projekt-, Risiko- und Vertragsmanagement. Die beschleunigte Beschaffung ist der ehemaligen Rüstungsstaatssekretärin nur bedingt gelungen, die daraus resultierende Berateraffäre beschäftigt den vom Verteidigungsausschuss eingesetzten Untersuchungsausschuss seit Monaten. Und, auch das sollte man sich vor Augen halten: Durch das Engagement externer Dienstleister und das Hinterfragen von Prozessen (was bisweilen durchaus richtig ist) wurde der Gesamtprozess Beschaffung nochmal zusätzlich in Teilen behindert und verlangsamt.
Eine grundsätzliche Reform des Beschaffungswesens ist aus meiner Sicht in absehbarer Zeit nicht realistisch. Leider. Dies war mein Eindruck während meines Mitwirkens im Expertenrat Beschaffung. Eine umfassende Reform scheiterte nicht nur an unserem derzeitigen Koalitionspartner, sondern auch am Beharrungsvermögen im BAAINBw, deren Personalvertreter im Prozess mit eingebunden waren. Ich möchte dies an dieser Stelle überhaupt nicht verurteilen. Ich habe sogar Verständnis dafür, dass die Mitarbeiter des BAAINBw reformgebeutelt und reformmüde sind. Der über mehrere Jahre währende Umbau – infolge der 2010 beschlossenen Bundeswehrreform vom BWB ins BAAINBw – war ein mühsamer Prozess. Und es verdient grundsätzlich Respekt, dass das Amt trotz personeller Unterbesetzung versucht, ein Vielfaches an Projekten zu stemmen und das vorgesehene Investitionsvolumen rechtzeitig auf den Weg zu bringen.
Die Empfehlung der Task Force zur „Untersuchung, Beschaffungs- und Nutzungsorganisation sowie Optimierung Beschaffungswesen“ (BeschO) sind nun 53 Einzelmaßnahmen, die abgestimmt mit den Integrierten Projektteams (IPTs) umgesetzt werden sollen. Es sind Detailverbesserungen, personelle, prozessuale und strukturelle Änderungen in der Behörde, die nun für eine verbesserte Beschaffung sorgen sollen. Ich bin davon überzeugt, dass viele Einzelmaßnahmen ihre heilende Wirkung entfalten werden. Aber für mich ist zentral: Wir brauchen die Entscheider, die Fachleute mit Expertenwissen auch wieder vor Ort, in den Werften, im Marinearsenal, dort wo die Probleme entstehen und dort, wo sie behoben werden. Wir müssen – wie es der Inspekteur Marine richtig sagt – wieder für mehr Betroffenheit sorgen.
Wir müssen darüber hinaus weg von reinem Prozessdenken, hin zu mehr ergebnisorientiertem Handeln. Vielleicht kann hier unser Handeln beim einsatzbedingten Sofortbedarf eine gute Blaupause sein. Ich nehme an dieser Stelle die Politik gar nicht aus: Sie ist ebenso gefordert, rechtliche Rahmen so zu setzen, dass eine Beschaffung im Kosten und Zeitrahmen möglich ist. Ich denke aber auch, dass wir mit dem Ende Januar beschlossenen „Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung“ und dem damit verbundenen „Strategiepapier Schlüsseltechnologie“, das Anfang Februar von der Bundesregierung beschlossen wurde, ein gutes Stück weitergekommen sind.
Für mich sind ganz grundsätzlich folgende Verbesserungsvorschläge für die Beschaffung, wie auch für die Instandsetzung, sinnvoll:
- Die Etablierung von Projektkarrieren („Expertenkarrieren“) im BAAINBw
- Der Dienstposten eines Stellv. Abteilungsleiters See, Beauftragter für Nutzung aller Projekte
- Ein klassenspezifischer technischer Offizier als Expertise-Träger seiner Boots-/Schiffsklasse und direkter Ansprechpartner bei Instandsetzungsvorhaben
Darüber hinaus sollten wir in der Instandsetzung wieder zu festen mehrjährigen Rahmenverträgen mit den Reparaturwerften kommen. Nicht nur, dass dort Know-how und Expertenwissen vorgehalten werden könnten, es wäre dann auch sicherlich möglich, in bestimmtem Umfang Ersatzteile vorzuhalten.
Hätten wir die eine oder andere der genannten Maßnahmen bereits eingeführt und etabliert, würde die Marine heute nicht von einer Instandsetzungskrise sprechen. Der letzte Materialerhaltungsplan ist ernüchternd. Die Marine steuert sehenden Auges auf eine mehrjährige Fähigkeitslücke (GAP) zu, bei der keine Einheiten zur Verfügung gestellt werden können. Darunter leidet dann auch die Ausbildung unserer Besatzungen. Dies ist ein ernsthaftes Problem.
Es ist wichtig, dass wir zu tragfähigen, dauerhaften Lösungen kommen, die die Einsatzbereitschaft der Marine mittel- und langfristig verbessern und erhöhen. Auf kurze Sicht sind wir, wie so oft, auf die aufopfernde Bereitschaft unserer Angehörigen der Marine angewiesen, die mit viel Improvisationskunst und manchmal langmütiger Geduld die Situation meistern.
Gemeinsam für die Einsatzbereitschaft der Deutschen Marine
Von Frank Lenski
Die Deutsche Marine bewältigt gegenwärtig das umfangreichste Aufgabenspektrum mit der gleichzeitig kleinsten Flotte ihrer Geschichte. Neben den Aufgaben der Landes und Bündnisverteidigung sind die maritimen Einsätze im Rahmen des internationalen Krisen- und Konfliktmanagements und die Beteiligung an den ständigen Einsatzverbänden der Nato bruchfrei sicherzustellen. Dieser überaus fordernde Beitrag muss im Wesentlichen mit der Kernflotte der Deutschen Marine – derzeit 46 Marineeinheiten – geleistet werden. Dies bedeutet, dass es in dieser historisch kleinen Flotte faktisch keine Redundanzen mehr gibt.
Gleichwohl ist anzumerken, dass die Deutsche Marine stets die an sie gestellten Einsatzverpflichtungen vollumfänglich erfüllt hat. Dies kann jedoch kein dauerhafter Maßstab sein, zumal die Einsatzverpflichtungen angesichts mangelnder Ressourcen nur unter größten Anstrengungen und letztlich auf Kosten des Personals der Marine, insbesondere der Bordbesatzungen, aufrechterhalten werden können.
Damit rückt die materielle Einsatzfähigkeit und Verfügbarkeit in den Fokus. Insbesondere aufgrund des umfangreichen Instandhaltungs- und Modernisierungsbedarfs der Flotte und zum Teil erheblicher Verlängerungen bei den Werftliegezeiten gestaltet sich die Regeneration von Einheiten zunehmend als Herausforderung. Um den Einsatz- und den Ausbildungsbetrieb uneingeschränkt sicherzustellen, ist es unabdingbar, dass die Schiffe und Boote der Marine planmäßig, d.h. termin- und kostengerecht sowie mit dem Abschluss der beauftragten Leistungen aus der Instandhaltung zurückkehren.
Umso wichtiger ist es, dass auch neue Waffensysteme den Rüstungsprozess zügig durchlaufen und durch die Industrie zeitgerecht und mit den vertraglich vereinbarten Leistungen abgeliefert werden und in den Dienst der Marine übernommen werden können.
Die eingeleiteten Trendwenden und die nachfolgenden Agenden des BMVg im Bereich Rüstung und Nutzung haben leider noch nicht in dem erhofften Umfange zu einer spürbaren Entlastung in der materiellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr geführt. Dabei war auch von vornherein davon auszugehen, dass diese Ansätze längere Zeit erfordern, um aus der Talsohle der stetigen Reduzierung und des Abbaus der letzten Dekaden herauszuführen.
Die Verteidigungsministerin, Frau Annegret Kramp-Karrenbauer, hat vor diesem Hintergrund auf der Bundeswehrtagung 2020 eine „Sofortinitiative Einsatzbereitschaft“ angewiesen, um möglichst rasch eine Erhöhung der materiellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu erzielen.
Die „Optimierung der Instandhaltungslandschaft Marine“ wurde bereits im Kontext der Agenda Nutzung des BMVg eingehend untersucht. Dabei standen angesichts der häufigen, unplanmäßigen Verlängerungen und Kostenüberschreitungen von Werftliegezeiten insbesondere die Abläufe zur Vorbereitung und der Durchführung auf dem Prüfstand. Die Ursachen sind hierbei vielschichtig und reichen von Defiziten in der Verfügbarkeit von Ersatzteilen und Kapazitäten des Marinearsenals bis zu einem unzureichend bekannten Gesamtumfang des Instandhaltungsbedarfes.
Der Befundung von Schäden und der Produktüberwachung in der Betriebsphase wird daher zukünftig besonderer Stellenwert eingeräumt. Außerdem sollen die Aufgaben in der Nutzung und Instandhaltung insbesondere an den Schnittstellen von BAAINBw, Marinearsenal sowie Marineunterstützungskommando möglichst eng verzahnt werden. Die diesbezüglichen Änderungen werden derzeit an einem Werftvorhaben erprobt und validiert. Dabei darf nicht erwartet werden, dass eine Optimierung von Prozessabläufen allein, d.h. ohne eine Verbesserung der sonstigen Rahmenbedingungen, zum Erfolg führen kann.
Ein maßgeblicher Schlüssel zur Steigerung der materiellen Einsatzbereitschaft liegt in der Entlastung des Marinearsenals in der Durchführung seines Instandhaltungsauftrages für die Flotte. Um die Folgen des jahrelangen Fähigkeits-, Personal- und Kapazitätsabbaus abzumildern und dem erhöhten Instandhaltungsbedarf der Flotte Rechnung zu tragen, kommt es darauf an, das Marinearsenal im wahrsten Sinne „wieder flott zu bekommen“ und insbesondere die Instandhaltungsgruppen kurzfristig personell zu stärken. Die Marine trägt dazu aktiv durch eigenes Personal bei. Perspektivisch gilt es zudem, die eingeleitete Modernisierung und den Fähigkeitsaufbau des Marinearsenals wieder stärker auf den Bedarf der Flotte im Nord- und Ostseebereich auszurichten und konsequent voranzutreiben.
Darüber hinaus wird die Marine im Rahmen der zuvor angesprochenen „Sofortinitiative Einsatzbereitschaft“ des BMVg zudem wieder mehr Verantwortung für die Instandsetzung in den Betriebsphasen übernehmen, also insbesondere bei vordringlichen, kurzfristig abzustellenden Schäden. Dabei wird ein zweifacher Ansatz verfolgt.
Zum einen sollen die Fähigkeiten des technischen Bordpersonals gestärkt werden, um ausgewählte komplexe Instandsetzungen erforderlichenfalls eigenständig durchzuführen zu können und gleichzeitig das Marinearsenal in der Instandhaltung zu entlasten. Dies bedingt ggf. eine Erweiterung der Ausstattung, z.B. mit Prüfgeräten und Ersatzteilen, sowie den Auf- und Ausbau von entsprechenden Werkstattkapazitäten in den Stützpunkten. Für den Erhalt der Qualifikation kommt dabei auch die Weiterbildung und Inübunghaltung des technischen Bordpersonals in den Werkstätten des Marinearsenals in Wilhelmshaven und Kiel in Betracht. Zum anderen wird angestrebt, die Steuerung und die zivil-gewerbliche Vergabe ausgewählter Leistungen der Sofortinstandhaltung (d.h. bei vordringlichen Schäden, die durch die Fähigkeiten des technischen Bordpersonals nicht abgedeckt werden können) vom Marinearsenal in die Marine zu verlagern, um auch hier Kapazitäten des Marinearsenals für die Umsetzung der planmäßigen Instandhaltungsvorhaben zu gewinnen. Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: damit verbindet sich kein Insourcing von Industrieleistungen in die Marine, sondern vielmehr ein beschleunigter Leistungsabruf seitens der Marine auf Grundlage von Rahmenverträgen des BAAINBw mit der Industrie.
In einem weiteren Ansatz zur Entlastung der Instandhaltungsorganisation könnte die Systembetreuung von kleinen Hilfs- und Unterstützungseinheiten gänzlich vom Marinearsenal in die Industrie verlagert werden. Derartige systembezogene, leistungsbasierte Betreuungsverträge kommen zum Beispiel für Schleppfahrzeuge, Ausbildungsplattformen und Dienstsegelboote in Betracht. Der Nutzen derartiger Betreibermodelle liegt – neben der Entlastung der eigenen Instandhaltungsorganisation – in einer langfristigen, gesicherten Leistungserbringung durch einen festen Auftragnehmer mit entsprechend positiven Effekten für die materielle Einsatzbereitschaft. Dies ermöglicht auch der Industrie, sich perspektivisch auf die Unterstützung dieser Plattformen einzustellen, z.B. durch eigenes Personal oder Ersatzteilvorräte.
Das Marinearsenal bleibt auch bei diesem Ansatz insbesondere für die Instandhaltung der Kampfeinheiten und der damit verbundenen Spezialfähigkeiten (u.a. Waffen, Sensorik und Informationstechnik) Kernstück des Instandhaltungssystems für Marineprodukte. Die zweite maßgebliche Handlungslinie zur Erhöhung der materiellen Einsatzbereitschaft liegt in der Forderung nach einer beschleunigten Rüstung und Beschaffung neuer Systeme. Diesbezügliche Lösungsansätze werden derzeit in Federführung des BMVg eingehend untersucht und sollen hier nicht näher betrachtet werden.
Gleichwohl hierzu einige grundlegende Anmerkungen aus Sicht der Marine: In der Betrachtung aktueller Rüstungsprojekte in der Domäne See wird deutlich, dass es mit Blick auf deren Verlauf entscheidend darauf ankommt, seitens des öffentlichen Auftraggebers von vorn herein ein aktives, aber restriktives Forderungsmanagement aufzulegen, um überzogene Maximalforderungen in der Produktspezifikation ebenso zu vermeiden wie unerfüllbare Versprechungen seitens der Industrie. Um insbesondere zeitliche Realisierungsrisiken zu reduzieren, muss dabei aus Sicht der Marine zukünftig stärker auf marktverfügbare Lösungen gesetzt werden, die den wesentlichen (und nicht so sehr den wünschenswerten) Anforderungen entsprechen – auch wenn dabei Abstriche im Leistungsportfolio hingenommen werden müssen.
Keine Kompromisse sind hingegen in militärischen Kernbereichen möglich, wie z.B. bei Kampf, Führung und Schutz. In diesen Bereichen ist die Forderung von modernster Ausstattung und Gerät im Sinne von „State of the Art“ unverzichtbar.
In jedem Falle muss bei der Beschaffung neuer Produkte sowohl seitens des öffentlichen Auftraggebers als auch seitens der Industrie stets der Betrieb und der Erhalt des Systems in seiner gesamten Nutzungsdauer im Blick stehen. Demzufolge ist die vollständige Herstellung der Versorgungsreife essenziell, einschließlich technischer Dokumentation, dauerhafter Ersatzteilversorgung und vollständiger Materialdaten.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die Deutsche Marine auch in den nächsten Jahren im Spannungsfeld von fordernden Einsätzen sowie umfangreichen Instandhaltungsvorhaben und Modernisierungen befindet. Sie ist daher auf effiziente Prozesse für den Erhalt und Betrieb ihrer seegehenden Einheiten ebenso wie auf den termingerechten Zulauf neuer, einsatzfähiger Waffensysteme aus der Industrie angewiesen.
Gerade aufgrund der Komplexität und des Integrationsgrades maritimer Waffensysteme ist dabei ein ganzheitliches Verständnis des „Gesamtsystems Schiff“ unabdingbar, da sich die materielle Einsatzfähigkeit stets aus dem Zusammenwirken vieler Subsysteme bestimmt.
Deutlich wird aber auch, dass es – neben den eingeleiteten und weitreichenden Programmen zur Verbesserung der materiellen Einsatzfähigkeit im Gesamtsystem Bundeswehr – zunehmend darauf ankommt, verstärkt kurzfristig umsetzbare, pragmatische und gleichsam rechtskonforme Lösungsansätze zu verfolgen, um in absehbarer Zeit spürbare Verbesserungen zu erzielen. Hier sind alle Bereiche der Bundeswehr gefordert.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt dabei im gemeinsamen und engen Zusammenwirken aller Beteiligten seitens der Marine, des BAAINBw und der Industrie.
Die Industrie als verlässlicher Partner
Von Andreas Burmester
In bestimmten Medienberichten wird immer wieder gerne darauf zurückgeblickt, dass im Jahr 2018 vermeintlich keines der sechs deutschen U-Boote einsatzfähig war, wobei auch wir als Industrie in die Kritik geraten sind, dass Anforderungen und entsprechende Qualitätsstandards nicht eingehalten worden seien. Dass diese Schwarz-Weiß-Betrachtung so nicht korrekt ist, wissen alle, die damals in die Abläufe eng eingebunden waren.
Zur Einordnung: Grundsätzlich wird die Verfügbarkeit der U-Boote im Wesentlichen durch die Art der Nutzung, also durch die Marine selbst bestimmt. Natürlich sieht die Nutzung geplante Instandsetzungszyklen vor, zu denen die Boote an die Werft kommen. Und es ist natürlich unser Selbstverständnis, unseren Premiumkunden, wie es die Deutsche Marine ist, bestmöglich bei der Instandhaltung seiner U-Boote zu unterstützen.
Natürlich ist zu Beginn nicht immer alles glatt gelaufen, aber in den letzten zwei Jahren hat sich einiges getan: Bereits im Jahr 2018 haben wir mit dem BAAINBw eine Rahmenvereinbarung für die Instandsetzung der U-Boote der Klasse 212A abgeschlossen, im Übrigen als einziges Marineunternehmen in Deutschland. Die Ersatzteilbeschaffung ist ein sehr anspruchsvolles Thema und auch das Hoheitsgebiet unseres Kunden, der Deutschen Marine.
Wir gelten als verlässlicher Lieferant, der hochwertige U-Boote und Schiffe von Weltrang liefert. Allein 70 % der konventionellen Nato-U-Boot-Flotte kommen aus unserer Produktion. Wir lassen unsere Kunden nicht allein, sondern begleiten sie mit fundierten Service-, Ausbildungs- und Trainingsleistungen sowie logistischen Leistungspaketen. Beim Bau der modernsten deutschen Marineschiffe, den Fregatten der Klasse F 125, ist thyssenkrupp Marine Systems federführend: Die „Baden-Württemberg“ wurde auf Basis der vertraglichen Vereinbarungen übergeben und abgenommen und im Juni 2019 von der Deutschen Marine in Dienst gestellt und die Fregatte „Nordrhein-Westfalen“ wird im März 2020 an das BAAINBw übergeben. In der Öffentlichkeit wurde oft kritisiert, dass die Schiffe verspätet geliefert werden, jedoch muss man auch beachten, dass der Marineschiffbau von der Planung bis zur Lieferung ein dynamischer Prozess ist, der mehrere Jahre andauert. In dieser Zeit wachsen selbstverständlich die Ansprüche und Vereinbarkeiten weiter. Dies ist ein ständiger Wettlauf technischer Fähigkeiten, IT-Anforderungen und Szenarien einer asymmetrischen Bedrohungslage. In Rücksprache mit dem Kunden können gewisse Leistungen auch nachträglich noch erbracht werden. Das kann z.B. vorkommen, wenn spät im Projekt noch Änderungswünsche des Kunden aufgenommen werden. Darüber hinaus ist es wichtig zu wissen, dass jedes Schiff erst einmal 12 Monate ab Ablieferung auf Einsatzprüfungen geht und die Mannschaft auf dem Schiff ausgebildet wird. Das passiert normalerweise in der Nord- und Ostsee. Sofern notwendig, gehen die Schiffe im Anschluss noch einmal in die Werft. Dort bekommen sie dann vielleicht einen neuen Anstrich oder es werden eben noch Zusatzleistungen abgearbeitet.
Was unsere Leistungsfähigkeit betrifft, sind wir selbstbewusst. Der U-Boot-Bau und mittlerweile auch der Überwasserschiffbau sind Schlüsseltechnologien in Deutschland. Wir wissen, dass wir uns darauf nicht ausruhen können und stetig weiterentwickeln müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir müssen verlässlich bleiben und durch Innovation und Technologie unsere Spitzenstellung erhalten. Dazu investieren wir eigenfinanziert jedes Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag.
Das Geld dafür verdienen wir vornehmlich im Export. Vor diesem Hintergrund teilen wir mit vielen die tiefe Sorge, dass die andauernden Diskussionen über die Ausgestaltung von Verteidigungsetats und Rüstungsexporten richtungsweisende Marine-Projekte nachhaltig negativ beeinflussen. In einem sehr politisch geprägten Geschäft benötigen unsere Kunden ein klares Signal der Verlässlichkeit, das heißt: auch zukünftig Exportunterstützung durch die Bundesregierung und idealerweise einheitliche europäische Rahmenbedingungen für den Export. Hier ist besonders zu bedenken, dass unsere Wettbewerber oft Unternehmen im Staatsbesitz sind. Zur Sicherstellung entsprechend einheitlicher Rahmenbedingungen in Europa hoffen wir auf einen konstruktiven Dialog mit der Politik. Wichtige Voraussetzungen, um den von der Bundesregierung als Schlüsseltechnologie bezeichneten Industriesektor in Deutschland auf Dauer zu erhalten, sind Aufträge aus Deutschland – wie MKS180, welcher leider nicht in Deutschland beauftragt wurde.
Es geht um die Erhaltung der Systemfähigkeit in Deutschland. Und damit um das Know-how, komplexe Systeme zu entwerfen, regelkonform zu bauen und Tausende von Hightech-Komponenten sach- und anforderungsgerecht zu integrieren. Das schafft Mehrwehrt – so wie bei den Programmen F 125, F 124 oder K 130. Die Deutsche Marine mit ihren hohen Anforderungen als Kunden zu haben, ist ein wertvolles Argument im Export, bei dem wir den restriktiven deutschen Rüstungsexportbestimmungen unterliegen und uns strikt an diese Bestimmungen halten. Im Überwasserbereich und beim U-Boot-Bau-Abkommen mit Norwegen hat uns die Regierung gut unterstützt.
Wenn wir mittel- und langfristig deutsche Arbeitsplätze sichern wollen, muss ein solcher Auftrag idealerweise dahin gehen, wo die notwendige Systemkompetenz dafür liegt, und das ist nun einmal Deutschland, seitens der Landesregierung Schleswig-Holstein erhalten wir dazu gute Unterstützung.
MRO – kurzfristig, nicht planbar
Die Industrie vermisst ein Fairplay
Von Bernd Wittorf
MRO – Maintenance, Repair, Overhaul – ein Anglizismus für Instandhaltung und Reparatur sowie, etwas frei übersetzt, Fähigkeitsanpassung, hier betreffend Boote und Schiffe der Deutschen Marine.
MRO in der Wahrnehmung der Marine steht zunächst für Ausfallzeiten der Einheiten. Dann in der Regel für Unplanbarkeit, weil immer mehr defekt ist als ursprünglich vorhersehbar war.
MRO in der Welt der Werften – ist sicher nie Neubau von Schiffen, ist immer von großer Flexibilität geprägt. Ist immer überraschend und nicht planbar.
Hierbei meine ich nicht nur die Diskussionen mit dem Marinearsenal als Auftraggeber und dem Bordkommando, diese sind dann ja oft aufgrund eines gemeinsamen Kenntnisstandes zumindest geprägt von einem gewissen Konsens in der Sache, nicht aber unbedingt in den Auswirkungen auf den ursprünglichen Endtermin.
Ich meine hierbei auch die internen Diskussionen und Überlegungen auf einer Werft. Meist sind Prozesse des Neubaus nicht auf die Belange MRO zu übertragen. Auch hieran wird deutlich: MRO ist ein eigenes Geschäftsumfeld. Problematisch natürlich, weil so schlecht planbar. Alles ist kurzfristig, nichts wirklich mittelfristig planbar, immer auch mit einer Unsicherheit für eine Amortisation nötiger Investitionen in Anlagen und Maschinen verbunden.
Verlässlichkeit wird, auch und gerade in diesem Umfeld, durchaus dennoch und mit Recht erwartet. Insbesondere erwartet unsere Marine bzw. das Marinearsenal Termintreue und Qualität bei den Instandsetzungsvorhaben.
Verlässlichkeit kann es aber nicht zum Nulltarif geben. Verlässlichkeit braucht handelnde Mitarbeiter mit großem Erfahrungsschatz. Nicht zu vergessen: Die Freiräume, diesen auch an nachfolgende Mitarbeiter weiterzugeben. Läuft jetzt alles reibungslos bei einem Instandsetzungsvorhaben?
Ich bin mir sicher. Sie alle haben die Nachrichten um die Instandsetzungsvorhaben der letzten Jahre intensiv verfolgt. Ich meine damit nicht (nur) den Fall „Gorch Fock“. Generell verlängern sich Werftliegezeiten in Instandsetzungsvorhaben meist deutlich!
Also ist diese Frage mit einem klaren „Nein“ zu beantworten!
Was sind die Gründe?
Ich möchte und werde an dieser Stelle weder ein Lob- noch ein Klagelied der Werftindustrie singen! Dazu sind die Probleme aus meiner Sicht zu vielschichtig. Wir müssen aber gemeinsam praktikable Lösungen für die Zukunft entwickeln. Diese Lösungen müssen auch den Interessen der Reparaturwerften Rechnung tragen. Wie auch oben schon für die Werften beschrieben: Reparatur ist kein Neubau!
Prozesse und Abläufe unterscheiden sich nun einmal signifikant. Dieses gilt nicht nur für den Werftbetrieb. Auch die Kundenseite muss der gebotenen Flexibilität Rechnung tragen.
Umfangreiche und nicht mit der Industrie abgestimmte Vertragswerke, oft eher aus der Neubeschaffung entliehen und für die Reparatur angepasst, fordern Anwälte, helfen allerdings nicht, das Instandhaltungsvorhaben zu beschleunigen, ganz im Gegenteil!
Leider sind in den letzten Jahren alle Versuche seitens der Industrie über ein, den Belangen beider Seiten ausgewogen Rechnung tragendes, Vertragswerk zu verhandeln fehlgeschlagen. Nach und nach wurde das bestehende Vertragswerk einseitig durch Einfügen immer neu-er Einzelparagraphen ausgehöhlt, um nun in dem schon beschriebenen mächtigen Vertragswerk zu enden. Die Industrie vermisst hier ein Fairplay.
Sie mögen jetzt argumentieren: Dann nehmt den Auftrag doch nicht an, verhandelt nach, lehnt ab – werden dann die Boote und Schiffe der Marine überhaupt noch gewartet? Wie lange dauert so ein Prozess, wer hat den längeren Atem. Das Problem wird also eher größer.
Ferner gilt es zu beachten: Natürlich hat sich die Industrie auf die Forderungen und Belange der Instandsetzung von Einheiten der Deutschen Marine eingestellt. Stellt Personal und Infrastruktur zur Verfügung, hat also auch wirtschaftliche Zwänge und Abhängigkeiten. Der Kunde Deutsche Marine bzw. Aufträge zur Instandhaltung von Einheiten entscheiden für einige Betriebe über den Fortbestand.
Wir sind uns doch an sich alle einig:
Die Marine benötigt zur Erfüllung ihrer Aufgaben funktionsfähige, gut gewartete Einheiten.
Dazu bedarf es auch einer funktionsfähigen Werftinfrastruktur an der deutschen Küste: Erfahrenes Personal, eine Werftinfrastruktur, die sicheres, termingerechtes qualitativ hochwertiges Arbeiten ermöglicht. Das heißt auch: Jeder Betrieb, jede Werft die in diesem Umfeld hochwertige Leistungen erbringen soll, muss auch mit einem Mindestmaß an Vertrauen ausgestattet werden.
Zum Abschluss meiner Ausführungen noch einige Worte zu praktischen Erwägungen und Anregungen:
Lagerhaltung: Allzu oft erleben wir im täglichen Reparaturgeschäft, dass diese Pumpe, dieses Ventil ersatzweise erst in einigen Wochen verfügbar ist. Leider ist nur wenig Material lagermäßig verfügbar. Eine gut geplante Lagerhaltung kritischer Komponenten, entweder von der Industrie gesteuert oder im Arsenal bevorratet, könnte hier sicher Abhilfe schaffen.
SoftInst: Hier bedarf es sicher eines höheren Verfügungsrahmens der handelnden Personen auch und gerade in den Stützpunkten. Standardisierung in der Instandhaltung: Welche Werft hat Erfahrung mit welcher Schiffsklasse? Wie kann eine solche Erfahrung in beiderseitigem Interesse genutzt werden? Ich freue mich auf weitere Diskussionen und Anregungen – Und die weitere Zusammenarbeit mit Marine und MArs!
Erschienen in Leinen los! 04/2020